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Atmende Lebensläufe: Ein neues Modell für bessere Vereinbarkeit?
Frauen und Männer in der Schweiz arbeiten pro Woche fast gleich viele Stunden. Der Unterschied: Bei Frauen sind über 60 % der Arbeit unbezahlt. Um eine gerechtere Aufteilung zu erreichen, haben Wissenschaftler:innen aus Deutschland das Modell der atmenden Lebensläufe entwickelt. Dahinter steckt die Idee einer Lebensarbeitszeit, die je nach Lebensphase unterbrochen oder reduziert werden kann – bezahlt.
Wer leistet wie viel Arbeit?
Frauen übernehmen mehr unbezahlte Care-Arbeit. Zuerst bei der Kindererziehung und später bei der Pflege von Angehörigen.
In der Schweiz zeigen die Zahlen von 2020 ein deutliches Bild:
Zeit ist gerecht verteilt. Die Bezahlung nicht.
Frauen und Männer leisten pro Woche fast gleich viele Stunden Arbeit – rund 52 Stunden. Der Unterschied? Frauen stemmen den Grossteil davon unbezahlt.
Bezahlte Arbeit der Männer = unbezahlte Arbeit der Frauen
Laut Bundesamt für Statistik übernehmen Frauen wöchentlich 31,9 Stunden unbezahlte Arbeit – etwa in Haushalt, Kinderbetreuung oder Care-Arbeit. Männer arbeiten im selben Zeitraum 31 Stunden bezahlt. Und umgekehrt: Männer leisten 20,8 Stunden unbezahlte Arbeit, während Frauen 20,8 Stunden bezahlt arbeiten.
Mehr Gleichberechtigung durch atmende Lebensläufe?
Um die Care-Arbeit gerechter auf alle Geschlechter aufzuteilen, haben Wissenschaftler:innen aus Deutschland bei einem Forschungsprojekt das Modell der atmenden Lebensläufe (auch Optionszeitenmodell genannt) entwickelt.
Das Modell in Kürze: Erwerbstätige erhalten in ihrem Berufsleben ein Kontingent von 9 Jahren für gesellschaftlich relevante Tätigkeiten. Sie können diese Zeit flexibel für Kindererziehung, Pflege von Angehörigen, ehrenamtliche Arbeiten, Weiterbildung und Selbstsorge einsetzen und währenddessen ihre Erwerbsarbeit unterbrechen oder reduzieren – und dies bezahlt.
Das Optionszeitenmodell
Quelle: https://www.dji.de/themen/familie/optionszeiten.html
Wer soll das bezahlen?
Laut dem Forschungsprojekt könnten je nach Thema diejenigen die Kosten tragen, die am meisten davon profitieren.
- Bei Care-Arbeit der Staat
- Bei Weiterbildung die Unternehmen
- Bei Selbstsorge die Arbeitnehmenden selbst
Das liesse sich grundsätzlich in einer ähnlichen Form auch auf die Schweiz übertragen.
Bringt es wirklich mehr Gleichberechtigung und Vereinbarkeit?
Gemäss Gleichstellungsbarometer 2024 wünschen sich die meisten für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, eine flexibel aufteilbare Elternzeit und flexiblere Arbeitszeitmodelle. Die atmenden Lebensläufe kämen diesen beiden Bedürfnissen entgegen.
Aber würden die 9 Jahre auch wirklich genutzt werden? Und wie? Würde der Grossteil der Männer wirklich mehr Care-Arbeit übernehmen? In einer Deutschschweizer Männerbefragung der Zeitschrift annabelle kam 2021 heraus, dass Männer die ideale Arbeitsteilung von bezahlter Arbeit bei 80 % bei Männern und 50 % bei Frauen sehen.
Was, wenn die Männer dann die 9 Jahre primär für Weiterbildung verwenden und Frauen weiterhin den Grossteil der Care-Arbeit übernehmen?
Ein Forschungsprojekt – Viele Fragen
Das Forschungsprojekt zeigt auf, wie mit dem Modell der atmenden Lebensläufe mehr Gleichberechtigung und Vereinbarkeit möglich wären. Bei einer Umsetzung könnten Beschäftigte zufriedener und Unternehmen produktiver sein – und die Gesundheitskosten könnten sinken.
Dennoch bleiben viele Fragen offen: Liesse sich ein solches Modell tatsächlich umsetzen? Wie würden Unternehmen mit den schwankenden Pensen umgehen? Wer würde entscheiden, was gesellschaftlich relevant ist und wie lange der Unterbruch dauert?
Auf Papier ein spannendes Modell. Ob es sich auch für die Praxis eignet, wird sich zeigen – oder auch nicht.
Und wie steht’s mit dir?